Die interdisziplinäre Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht hat die Digitalisierung aus einer soziotechnischen Perspektive unter die Lupe genommen. Der soziotechnische Ansatz macht sichtbar, dass sich Digitalisierung in einem gesellschaftlichen Kontext abspielt. Zu diesem Kontext gehören auch Geschlechterverhältnisse, die sich auf den Zugang zu digitaler Technologie, die Art und Möglichkeit ihrer Nutzung und ihre Gestaltung auswirken. So führen beispielsweise durch Stereotype geprägte Unternehmenskulturen oder schlechte Bedingungen für die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit mit der Sorge für Kinder oder andere Angehörige dazu, dass Frauen schlechter Zugang in die Digitalbranche finden. Zudem bleiben sie häufig nicht lange in der Branche und können so die Möglichkeiten eines solchen Arbeitsplatzes nicht nutzen. In der Gestaltung von Software spiegeln sich Geschlechterverhältnisse in Beispielen wie diesen wider: Ein Künstliche-Intelligenz-Chatbot, der mit Hilfe von Spracherzeugungswerkzeugen wie Googles GPT-3 philosophische Texte erstellen soll, produzierte auf Basis des aus dem Netz gelernten frauenfeindliche und rassistische Ausfälle.
Wer schon einmal etwas aus einer Fremdsprache übersetzt hat, weiß, dass Wörter nur in ihrem Kontext Sinn ergeben. Übersetzung bedeutet dabei immer auch eine Interpretation des Kontexts. Ähnlich verhält es sich mit der Digitalisierung, d. h. der mathematischen Übersetzung der Welt in Daten und Algorithmen. Fehlt dieser Kontext, passiert es, dass technologische Anwendungen am gesellschaftlichen Bedarf vorbei eingeführt werden oder ihn sogar konterkarieren. In Bezug auf Gleichstellung bedeutet dies: Ebenso wie die Gesellschaft durch Geschlechterverhältnisse geprägt ist, ist auch die Digitalisierung durch Geschlechterverhältnisse geprägt. Technik und auch der Prozess der Digitalisierung sind also nicht (geschlechts-)neutral.
Die Digitalisierung öffnet ein Gelegenheitsfenster, um herrschende Geschlechterverhältnisse sichtbar zu machen, Rollenzuschreibungen zu hinterfragen und Machtverhältnisse neu zu verhandeln. Vor diesem Hintergrund reflektiert das Gutachten die geschlechtsbezogenen Auswirkungen der Digitalisierung in unterschiedlichen Bereichen: der Digitalbranche, der digitalen und digitalisierten Wirtschaft sowie der Gesellschaft. Inwieweit die Gleichstellung der Geschlechter im Zuge der technologischen Veränderungen zunimmt oder abnimmt, hängt entscheidend von den Rahmenbedingungen der digitalen Transformation und deren Gestaltung ab. Das Gutachten zeigt hier mit 101 Handlungsempfehlungen für eine geschlechtergerechte Gestaltung der Transformation zahlreiche Handlungsoptionen auf.